Ich will die Zeit als Geschenk sehen können
„Ich bin gerannt, gelaufen, hab Mails an die Kundschaft geschickt … ich bin fast durchgedreht. Dann bin ich vom Staat so enttäuscht worden, ich habe sehr wenig finanzielle Unterstützung bekommen. Jetzt tu ich nichts mehr geschäftlich“, beschreibt Josef Schwarzenhofer, Besitzer eines Modegeschäftes mit eigener Schneiderei im Innviertel, die Situation im zweiten Lockdown.
Damen & Herren Fest- und Oberbekleidung, Trachtenmode, Vereinsausstattungen und Mode für den Bräutigam sind die Schwerpunkte des Traditionsbetriebes, der seit 1854 von der Familie betrieben wird.
Wir blicken zurück: Im Februar / März wird die Ware geliefert, die bereits ein halbes Jahr vorher eingekauft wurde. „Das muss gezahlt werden, da geht es um große Summen“, erklärt Helga Schwarzenhofer, die gemeinsam mit ihrem Mann das Geschäft führt, „und am 2. März war schon die Ware für den Herbst bestellt. Am 15. März haben wir dann das Geschäft zugesperrt und bereits vorher, am 13. 3., haben wir sieben Absagen von Bräutigamen bekommen, die sich bei uns einkleiden wollten. Da fällt dann nicht nur der Bräutigam weg, sondern auch Familie, Trauzeugen, Freunde – alle fallen weg, die für diese Hochzeit eingekauft hätten.“ Die beiden konzentrierten sich auf die Dinge, die sie nun noch erledigen konnten. Es gab noch Arbeit in der Schneiderwerkstatt, es waren noch Sachen fertigzustellen, die Lieferung war da, Vereinsausstattungen waren noch fertig zu machen. Und dann begannen sie, Masken zu nähen. „Bei 1000 Stück haben wir zu zählen aufgehört, bis nach Hamburg haben wir die Masken geschickt. Es war gut, dass wir Beschäftigung hatten, so konnten wir nicht viel nachdenken“, beschreibt Josef die Situation. Es gibt auch eine Mitarbeiterin im Geschäft. Im März war sie mit einem Aussetzungsvertrag arbeitslos gemeldet und im zweiten Lockdown in Kurzarbeit. Die beiden sind froh über ihre Loyalität und ihr Verständnis.
Die Zeit nach dem ersten Lockdown schildert Helga so: „Als wir das Geschäft dann wieder aufsperren durften, war im ersten Monat gar nichts los. Es gab ja auch keine Veranstaltungen, keine Feste von Vereinen, keine großen Hochzeiten. Es war zach.“
Beim ersten Lockdown war das Schlimme die Ungewissheit, nicht zu wissen wie es weitergeht. Der zweite Lockdown fühlt sich anders an, es ist wie unbezahlter Zwangsurlaub. Beide machen nur das Nötigste für das Geschäft, dafür gibt es eine „To do Liste“ für die freie Zeit. Darauf stehen Dinge wie: spazieren gehen, in den Whirlpool legen, im Garten arbeiten, intensive Autopflege am über 50jährigen Käfer, die Bäume schneiden ... Dinge, die sie gerne machen und bei denen sie Entspannung finden. „Ich will diese Zeit als Geschenk sehen, jetzt habe ich Zeit für den Garten. Wir können nichts ändern an der Situation. Was soll ich mich sträuben und anders machen? Wenn ich mich reinsteigere, kostet das nur Nerven“, versucht Josef das beste aus der Situation zu machen. Er findet es allerdings bedenklich, dass die sozialen Kontakte so hinten gelassen werden und denkt dabei an die alten Leute oder auch an die Jugend: „Ich bin mit 17 ständig mit dem Moped unterwegs gewesen. Ich kann mir das gar nicht vorstellen, wie das jetzt ist für die Jungen! Das Zusammenkommen fehlt einfach – auch bei der Feuerwehr“, überlegt Josef, der in seiner Freizeit ein engagierter Feuerwehrmann ist.
Ob und wie ein Betrieb aktuell um Unterstützung ansucht, ist gar nicht so leicht zu entscheiden. Es gibt laut Steuerberater 150 verschieden Arten der Ansuchen, durch die sich die Kanzleien arbeiten müssen. Da muss man sich schon überlegen, ob nicht letztlich das Gehalt des Steuerberaters mehr ausmacht, als die Unterstützung bringt.
Reinsteigern bringt nichts, sind sich die beiden einig. Das macht krank. Sorgen machen ihnen aber die immer wieder laut werdenden Stimmen nach Öffnungszeiten im Handel am Sonntag. Josef bringt es auf den Punkt: „Da entstehen wieder Kosten und der Mensch kommt nicht zur Ruhe und zum Verschnaufen. Es ist keine Zeit mehr zum Mensch-Sein.“
Was hilft den beiden und was trägt sie durch schwierige Zeiten?
An erster Stelle steht ganz klar die Familie.
Rausgehen und Zeit mit ihren Tieren verbringen, gibt ihnen Ruhe und Kraft. Die Liste mit den Dingen, die Freude machen, ist aktuell wichtig. Spiritualität hat in ihrem Leben immer schon Platz gehabt. Gemeinsame weite Spaziergänge, auch einfach in Stille nebeneinander, helfen, um zur Ruhe zu kommen und sich von anstrengenden Arbeitswochen – die nicht selten 70 bis 80 Stunden betragen – auszuklinken und einen Ausgleich zu finden. Dazu gibt es auch die traditionellen mehrstündigen Spaziergänge am 24. 12. und am 31. 12. am Nachmittag sowie die Ausflüge ins Kirchental zweimal im Jahr. Manchmal darf es aber auch etwas lauter sein zum Abstand-Gewinnen und dann schallt z. B. AC/DC durch das Haus im idyllischen Pischelsdorf.
Trotz der angespannten Situation in der letzten Zeit schaut Familie Schwarzenhofer positiv in die Zukunft. Die Adventzeit nutzt Josef, um die große Krippe im Garten aufzustellen. Jeden Tag kommt eine neue Figur dazu. Und ganz besonders freut sich das Ehepaar heuer auf das Weihnachtsfest mit dem Enkelkind. Für 2021 hoffen sie einfach, dass es wieder besser wird! Sie wissen, wer hinter ihnen steht und das gibt Rückenstärkung für die Zukunft: „Die Stammkundschaften haben uns die Stange gehalten. Es waren sogar welche dabei, die uns angeboten haben, ihre Gutscheine für später aufzuheben und stattdessen mit Bargeld zu bezahlen, damit sie uns besser unterstützen können. Unseren Stammkundschaften sind wir sehr dankbar. Dieser Rückhalt erdet uns und freut uns sehr.“