Wieviele Pakete sind es heute?
Fast immer, wenn wir uns treffen, geht es um die Post. Sonja arbeitet dort schon seit 18 Jahren in der Vorverteilung und als Springerin. Kaum dass ich sie gefragt habe, wie es ihr denn jetzt in der Vorweihnachtszeit gepaart mit Corona in der Arbeit geht, sprudelt es nur so aus ihr heraus: „Oft träume ich von einem riesigen Berg an Paketen, der mich erschlägt. Schon beim Aufwachen“, erzählt sie, „denk ich voller Sorge, ob an diesem Tag auch so viele Pakete zum Zustellen sind wie am Vortag. Doch dann sag ich mir, ich kann das ja sowieso nicht beeinflussen, weil die Pakete sind ja schon unterwegs.“
Als ich ihr erzähle, dass ich bei einer größeren Zustellbasis gesehen habe, dass die BriefträgerInnen ihre Postautos alle im Freien ohne Überdachung beladen müssen, meint sie sarkastisch: „Ja denkst du, das ist bei uns anders? Wir haben schon ein Vordach, doch da passen höchstens ein paar Autos drunter. Die BriefträgerInnen haben eigentlich erst kurz vor 7 Uhr Dienstbeginn, kommen aber schon um 6 Uhr, wenn wir von der Vorverteilung anfangen. Denn die als erstes da sind, können ihr Postauto unterm Dach gleich beim Eingangstor hinstellen, während die Anderen warten müssen, bis einer wegfährt und erst dann können sie ihre Sachen einladen oder sie fahren mit dem vollbeladenen Rollwagen zu ihrem Postauto, das weiter weg im Freien steht. Und bei Regen oder Schnee ist das wirklich kein Spaß!“
„Jeder Morgen beginnt schon mit einem Wettrennen“, sagt Sonja. „Immer der Blick auf die KollegInnen, wer hat mehr und wer weniger Pakete. Wieso immer ich so viele habe ...
Auch die KollegInnen sind in dieser stressigen Zeit so angespannt und grantig, wenn einer ein schiefes Wort sagt, dann schepperts!“
Als ich sie frage, ob denn die Leitung im Postverteilerzentrum nichts tut, damit die Arbeit besser verteilt wird, blickt sie mich ungläubig an „Von den Chefs kann man sowieso nichts erwarten“, sagt sie.“ Dann zeigt sie mir den Werbefolder „Postbuch 2020. Unsere Services auf einen Blick“. Wir blättern ihn gemeinsam durch. „So viele tolle Angebote für unsere KundInnen“, sagt sie bitter. Alle Zusatzleistungen, die dort beworben werden, bedeuten für die PostlerInnen – so auch für Sonja – zusätzlichen Arbeitsaufwand. „Genau nach dem Motto der Postleitung. Es kann auch ein bisschen mehr sein, denn das ist ja unser Geschäft!“
„Aber beim Personal werden wir trotzdem nicht mehr, obwohl wir die Leute so dringend brauchen würden. Stell dir vor,“ erzählt sie weiter: „im letzten Jahr sind die Pakete um 40 Prozent mehr geworden, doch die Postleitung hat nur minimal mehr Personal eingestellt. Da würde die Post ja nicht so viel Gewinn machen. Und außerdem, die Neuen hören sowieso bald wieder auf – sobald sie was Besseres gefunden haben.“ Sie schüttelt den Kopf, dann lacht sie leicht verzweifelt: „Kannst du dir vorstellen, was wir den Leuten alles bis ins Haus schleppen müssen? Alles Mögliche, vom Hühner- und Hundefutter bis zu Blumenerde und Gartengarnitur.“ (Anmerkung: bis zu 31,5 kg darf ein Paket wiegen, das mit der Post versendet wird. Manchmal geht es nicht so genau her, denn es geht ja ums Geschäft – da darf‘s auch ein bissl mehr sein.)
Ihr Gesichtsausdruck wird jetzt ernst, als sie sagt: „Wenn einmal diejenigen, die jeden Tag mehrere Pakete bekommen, nur für ein paar Tage die Schlepperei der PostlerInnen machen müssten, dann könnten sie vielleicht verstehen, was das für uns bedeutet. Ich hab gestern zu einem Haushalt 6 Pakete vom Ottoversand gebracht, die insgesamt so hoch waren, wie ich groß bin. Und überhaupt: ich versteh sowieso nicht, dass die Leute nicht kapieren, dass sie mit dem Paketbestellungswahnsinn ja meistens eh nur die Riesenkonzerne unterstützen (z.B. Amazon, Otto, Zalando ...). Die Leute sprechen immer von Regionalität und dann bestellen sie alles im Internet.“
Als ich sie zum Abschluss des Gesprächs frage, was ihr denn trotz aller Belastungen am Zustellen Freude macht, erhellt spontan ein Lächeln ihr Gesicht: „Weil ich gern zu anderen Leuten komme und die Arbeit überhaupt nicht fad ist. Es ist unglaublich, wie schnell ein Arbeitstag vergeht. Manchmal werde ich auch von jemandem auf einen Kaffee eingeladen, doch ich muss schauen, dass ich nicht zu viel trinke, denn da muss man zu oft auf‘s Klo und wo geh ich da dann hin …“, sagt sie.
Und dann erzählt sie mir noch ein Erlebnis von ihrer Arbeit als Postlerin, das sie besonders gefreut hat: „Bei einem Haus, wo die Zufahrt sehr schmal und steil ist, kann man entweder vorwärts rauf und rückwärts zurückfahren oder umgekehrt. Und im Winter ist es dort besonders schlecht zum Fahren.
Eines Tages sagte ich zum Hausbesitzer: Ich hätte eine große Bitte. Ob er den Briefkasten vielleicht runter zur Gartenmauer neben die Straße (=Grundgrenze) hängen könnte? Und am nächsten Tag, als ich mit der Post kam, hing schon der Briefkasten unten an der Gartenmauer. Seitdem freue ich mich jedes Mal, wenn ich dort vorbeifahre!“
*) Name geändert
ungeschminkt
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